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Gebraucht – das am meisten unterschätzte Potenzial

Der Lockdown Anfang des Jahres hat die Fahrzeugbestände vieler Gebrauchtmaschinenhändler und Hersteller dramatisch ansteigen lassen. Nicht nur konnte nichts abverkauft werden, auch kamen Fahrzeuge und Geräte zurück, für die man schon Inzahlungnahmeverträge geschlossen oder Rückkaufvereinbarungen getroffen hatte. Die Standzeiten stiegen stark. Wenn man bedenkt, daß jede Maschine je nach Modell und Alter zwischen 40 und über 100 Euro am Tag kostet (Kapitalbindung, Rückstellungen, Versicherung, Wertverlust etc.), sind hier schnell Beträge erreicht, die existenzbedrohend sein können.

Ist das wirklich so? Und kann man hier gegensteuern?

Tatsächlich lässt sich feststellen, dass in der Zeit des Lockdowns die Standtage naturgemäß hoch waren. Danach war aber der Reiz, sich einen Gebrauchten zu kaufen, aus verschiedenen Gründen so hoch, dass die Standzeiten regelrecht geschrumpft sind. Während die DAT für den PKW-Bereich noch im April die Befürchtung hatte, Gebrauchtfahrzeugpreise nach unten anpassen zu müssen (s. DAT-Bericht vom 14. April 2020), sieht sie im September eine deutliche Belebung: Während im Neufahrzeuggeschäft noch 29 Prozent an Zulassungen im Vergleich zu 2019 fehlen, sind es beim Gebrauchtfahrzeug nur sechs Prozent. Gebrauchte Fahrzeuge stehen deutlich weniger lange als vor der Krise.

Gebraucht ist nicht gleich Gebraucht.

Die Gründe dafür sind einfach: Im PKW-Bereich wollen viele Menschen sich aus Angst vor Ansteckung nicht mehr in öffentliche Verkehrsmittel setzen und schaffen sich lieber einen gebrauchten PKW an. Im B2B hingegen, bei LKWs, Baumaschinen und Landmaschinen verschafft der Kauf einer Gebrauchtmaschine dem Kunden in konjunkturell guten Phasen einen Zeitvorsprung (er spart sich die Lieferzeiten, kann schnell produktiv werden) bei – was in Phasen des Abschwungs wichtig ist – geringeren Kosten (der höchste Wertverlust passiert am Anfang).

So kommt es, dass die Gebrauchtmaschinenplattform „mascus“ festgestellt hat, dass die Nachfrage zum Beispiel nach Traktoren entgegen des allgemeinen Trends im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem gleichen Zeitraum in 2019 um 51 Prozent zugenommen hat! Und das, wo sie im Vorjahr im selben Zeitraum noch stark gefallen war.

Das Potenzial der Gebrauchten

Der Gebrauchte ist also nicht nur ein „notwendiges Übel“, den der Hersteller mit handeln muss, „weil er halt da ist“ – der Gebrauchte kann in der Lage sein, das Neugeschäft zu kompensieren, es aber auch komplettieren. Dazu müssen bestimmte Regeln beachtet werden. Allen voran, dass das Gebrauchtgeschäft unabhängig vom und gleichberechtigt zum Neugeschäft organisiert sein muss. Nicht selten wird der in Zahlung zu nehmende Gebrauchte überzahlt, wird der prognostizierte Restwert in der Rückkaufvereinbarung gegen Wissen des Gebrauchtgerätemanagers zu hoch angesetzt, um das Neugeschäft zu unterstützen. Das führt zu unweigerlich schlechten Ergebnissen in der Gebrauchtgeräteabteilung. Und damit zu geringer Wertschätzung des von Hochglanzbroschüren und schillernden Launchveranstaltungen geprägten Neugeschäfts. Und so berichtet die Gebrauchtabteilung oft an den Gesamtvertriebsleiter. Und dessen Vergütung richtet sich nach den Neuverkäufen – er erhält Provision, und die ist umso höher, je mehr Einheiten Neue er verkauft. Dass dabei der Gebrauchte als Verlustträger mitgezogen werden muss, wird billigend in Kauf genommen.

Darf der Gebrauchte jedoch allein und auf eigene Rechnung agieren, zeigt sich schnell das Potenzial. Die Akzeptanz im Unternehmen steigt, Gewinne zeigen sich, und bei richtiger Strukturierung der Geschäfte verbessert der Gebrauchte schnell das Image der Marke. Und es gibt sie – die professionell aufgestellten Unternehmen, die EBIT-orientiert und mit gutem Deckungsbeitrag im Gebrauchtgeschäft den Erfolg des Gesamtunternehmens sicherstellen.

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Jeder für sich – oder Hand in Hand?

Es geht aber nur gemeinsam: In enger Zusammenarbeit mit dem Neuvertrieb können beide Bereiche beste Ergebnisse liefern:

  • Wenn das Neugerät so konfiguriert wird, wie es der Kunde am Gebrauchtmarkt braucht, steigen Begehrlichkeit und Restwert, gleichzeitig sinken Standtage und Risiko. Dazu gehört eine zeitgemäße Serienausstattung ebenso wie eine überschaubare Sonderausstattungsliste. Der Gebrauchtkunde hat meist kein Detailwissen über die damals möglichen Sonderausstattungen, sondern möchte auf den Blick erkennen können, ob das Gerät seinen Anforderungen entspricht oder nicht.
  • Die Nennung von prozentualen Rabattsätzen beim Neugerät sollte vermieden werden. Der Gebrauchtkunde setzt sonst ebenfalls einen reduzierten Preis des Gebrauchten voraus. Das senkt die Restwerte auf lange Frist.
  • Ein Geschäftsführer mit Weitblick behält bei den Absatzzielen am Neugerätemarkt stets die Chancen am Gebrauchtmarkt im Blick.
  • Der Kunde muss sich auf die Qualität verlassen können. Damit werden Preisdiskussionen vermieden.

Je professioneller der Hersteller sein Gebrauchtgeschäft in eigener Regie, an eigenen Standorten und mit einem eigenen Markenbranding betreibt, desto höher werden die Verkaufspreise sein, desto höher die Kundenzufriedenheit und das Markenimage.

Weiterhin wichtig: Ist der Zwischenhandel ausgeschaltet, besteht eine direkte Schnittstelle zum Endkunden. So entsteht die Bindung des Kunden an die Marke!

Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob bei schlechten Prognosen für den Gebrauchtmarkt gegengesteuert werden kann, ist also eindeutig: Ja!

Und jetzt? Die Ausgangssituation ist entscheidend!

Unterschiedlichste Produkte, unterschiedlichste Kundenbedürfnisse und Interessen, unterschiedlichste unternehmerische Ausprägungen und unterschiedlichste Modelle aus unterschiedlichsten Jahren erfordern individuelle und lösungsorientierte Maßnahmen. Ein Traktor ist keine Baumaschine, ein Lastwagen kein PKW, und ein Bagger nun einmal kein Mähdrescher. Es gibt keinen einen Markt, sondern multiple Absatzkanäle. Und jeder davon muss mit der richtigen Strategie bedient werden. Das gilt für den Gebrauchtmarkt noch mehr als für das Neugeschäft.

Und über all die genannte Komplexität hinaus haben wir es im Gebrauchtgeschäft nicht nur mit der einen Produktpalette des einen Herstellers zu tun. Neuvertrieb kann jeder – Gebraucht nicht.

Die Professionalisierung im Gebrauchtbereich, die sich im PKW-Bereich schon vor 20 Jahren vollzogen hat, hat den LKW inspiriert. Jetzt sind die Bau- und Landmaschinen an der Reihe!

Corina Teichert
Spezialistin für Restwertmaximierung und Restwertprognosen sowie Risikominimierung von Maschinen und Geräten.

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